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Kolumne

Music for the Masses? Die (neue) Zweiklassen-Konzertgesellschaft

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Die neue Zweiklassengesellschaft bei Konzerten
Foto: Pexels / Quelle: https://pixabay.com/en/audience-backlit-band-battle-1868137/

Schon länger beschäftigt mich das Thema „Zweiklassen-Konzertgesellschaft“ und heute möchte ich dazu mal meine Meinung kundtun. Zugegeben, das „Problem“ besteht nicht erst seit gestern, doch seit einiger Zeit fällt mir immer häufiger auf, womit heutzutage versucht wird, immer mehr aus den Geldbeuteln der Konzert- und Festivalbesucher herauszuholen. Das mag an einigen Stellen durchaus seine Berechtigung haben, stößt mir persönlich aber sehr oft unangenehm auf. Die folgenden Zeilen sind stark durch Emotionen geprägt sowie mit einem starken Blick durch die „Fan-Brille“ entstanden und sind deshalb vor allem als eines zu sehen: eine absolut subjektive Meinung.

Inhaltsverzeichnis
1. Die Sache mit dem (exklusiven) Vorverkauf
2. „Haste Kohle, stehste vorne“
3. Gleichberechtigung auf Festivals?
4. Das Ende der Fahnenstange?

Die Sache mit dem (exklusiven) Vorverkauf

Das Thema Ticket-Vorverkauf für Konzerte wird immer verrückter. Teilweise ist es möglich bzw. sogar nötig, sich Konzertkarten schon 1 1/2 Jahre vor dem eigentlichen Event zu kaufen. Als Beispiel möchte ich den Vorverkauf für die kommende Tour der Berliner Band Seeed heranziehen. Am 09.05.2018 startete der Vorverkauf für eine Tour, deren erstes Konzert am 11.10.2019 stattfindet. Was also tun als Fan? Klar, man versucht Tickets zu bekommen, auch wenn man wohl nur mit hellseherischen Fähigkeiten vorhersagen kann, ob man 17 Monate später überhaupt den Termin wahrnehmen kann. Was das bringt? Nun, vor allem mal finanzielle Planungssicherheit für die Band und den Konzertveranstalter. Und die Tickethändler dürfen mit dem Geld der Fans auch noch ein bisschen „arbeiten“, ehe die Summe beim Veranstalter fällig wird.

Nicht falsch verstehen, ich bin ein großer Seeed-Fan und es geht mir nicht darum, eine Band wie Seeed an den Pranger zu stellen! Die Band dient hier lediglich als aktuelles Beispiel. Inwiefern die Band in solche Ticket-Aktivitäten involviert ist, wage ich nicht zu beurteilen und soll auch keine Rolle spielen.

Screenshot: eventim.de
Screenshot: eventim.de

Mit dem Start des Vorverkaufs stellt sich für viele Konzert-Fans ein altbekanntes und leidvolles Problem dar: Die sog. „Warteräume“ von Eventim oder Ticketmaster. Die Thematik ist eigentlich nicht neu und mit großem Interesse an Konzertkarten sollten die Ticketportale eigentlich rechnen. Trotzdem hat man als Fan das Gefühl, dass die Ticket-Platzhirsche immer wieder aufs Neue überrascht sind vom großen Run auf die begehrten Tickets. Kann man da nicht kurzfristig einen zusätzlichen Server zuschalten? Ich meine, so ein Ticket-Vorverkauf kommt ja nicht völlig unerwartet und in den vergangenen Jahren konnte man doch seitens der Tickethändler seine Erfahrungen machen. Trotzdem immer das altbekannte Lied. Warten, warten, warten und hoffen.

Im Fall von Seeed waren die begehrten Tickets – wie zu erwarten war – innerhalb weniger Minuten vergriffen. Bleibt also nur der Weg über andere Kanäle, wie eBay oder die „Sekundärmarktplätze“ Seatwave oder fanSALE. Beides Portale, die von Ticketmaster bzw. Eventim betrieben werden und auf denen Tickets für ausverkaufte Konzerte und anderen Veranstaltungen zu teils überirdischen Preisen den Besitzer wechseln. Natürlich erheben Seatwave und fanSALE hier ebenfalls horrende Gebühren, was den Ertrag der Ticketportale nochmals steigen lässt. Eventim und Ticketmaster sind jedoch nicht die einzigen Anbieter von Sekundärmarktplätzen. Ein weiterer bekannter Name am Markt ist Viagogo. Auch dort kann man Tickets zu Mondpreisen erwerben. Dieser ganze Zweitmarkt steht natürlich unter dem Motto „Von Fans für Fans“. Oder vielleicht treffender: „Von Tickethändlern für Fans mit Kohle“. Jedenfalls hat das mit „Musik für die Massen“ nichts mehr zu tun, sondern ufert eher in Richtung „Musik für zahlungswillige und kaufkräftige Event-Kundschaft“ aus.

Eminem Vor-Vorverkauf
Screenshot: Telekom Mega-Deal App

„Glücklicherweise“ gibt es ebenfalls seit geraumer Zeit exklusive Vor-Vorverkäufe für ausgewählte Veranstaltungen. Ganz vorne mit dabei ist aktuell die Telekom mit ihren „Mega Deal“-Angeboten und den Magenta PrioTickets. So konnten sich Telekom-Kunden beispielsweise 48 Stunden vor dem eigentlichen Vorverkauf Tickets für das einzige Deutschland-Konzert von Eminem am 10. Juli 2018 in Hannover sichern. Super Sache? Klar. Aber eben nur, wenn man Telekom-Kunde ist. Alle anderen Eminem-Fans schauen erstmal in die Röhre. Besonders ärgerlich: Beim Vor-Vorverkauf der Telekom gingen bereits die Hälfte der ca. 75.000 Konzertkarten über den virtuellen Tresen. Normalsterbliche Nicht-Telekom-Kunden durften sich zwei Tage später im Warteraum von Ticketmaster die Zeit vertreiben. Dort wurde jedoch schon nach wenigen Minuten der Ausverkauf vermeldet. Natürlich nicht, ohne noch auf die Möglichkeit des Ticketerwerbs im hauseigenen Sekundärmarktplatz Seartwave hinzuweisen.

Natürlich kann man auch positives über das Musik-Engagement der Telekom sagen. Im Rahmen der Telekom Street Gigs (früher T-Mobile Street Gigs) treten seit 2007 bekannte nationale und internationale Künstler an ungewöhnlichen Orten auf. Und auch in Sachen Konzert-Streaming hat sich der Telekommunikationsriese in der Vergangenheit einen Namen gemacht, etwa durch Deutschlands ersten 360-Grad-HD-Live Stream anlässlich des Street Gigs der Red Hot Chili Peppers im September 2016.

Natürlich verspricht sich die Telekom durch solche Aktionen vor allem eines: neue Kunden. Sich an ein Unternehmen zu binden, nur um die Chancen auf ein Konzertticket zu erhöhen, halte ich persönlich für falsch.

„Haste Kohle, stehste vorne“

Unterschiedliche Ticketkategorien, wie Sitz- oder Stehplatz sind nichts Ungewöhnliches. Seit einigen Jahren wird jedoch durch die Einführung von weiteren, meist viel teureren Ticketkategorien die Entwicklung hin zu einer Zweiklassen-Konzertgesellschaft weiter befeuert. Dank sog. Front-of-Stage Tickets können zahlungskräftige Fans ihre musikalischen Helden aus den ersten Reihen erleben. „Früher“ stand man noch Stunden vor dem Konzert vor dem Veranstaltungsort, um einen der begehrten Plätze in den vorderen Reihen zu ergattern. So gesehen erspart diese Ticket-Kategorie einiges an Wartezeit, jedoch gilt hier der Grundsatz „Haste Kohle, stehste vorne“.

Auch sonst lässt man sich die unsinnigsten Ticket-Kategorien einfallen, um möglichst viel Kohle zu schäffeln. Diverse Premium- und VIP-Tickets versprechen etwa exklusive Logen-Plätze inkl. Kaltwarmem Büffet und Getränke zwei Stunden vor und nach dem Konzert. Da fragt man sich doch, ob man eigentlich ein Konzert besuchen möchte oder eher auf der Suche nach einem guten Abendessen ist. Das hat doch nichts mehr mit einem reinen Konzert-Erlebnis zu tun. Alles erhält immer mehr Event-Charakter. Da kann und möchte Otto Normalverdiener nicht mehr mithalten.

Den Vogel abgeschossen haben hier meiner Meinung nach Metallica. Im Rahmen ihrer „WorldWired Tour 2018“ konnte man für läppische 2399 € (zzgl. Versand- und evtl. Zahlungsgebühren) ein VIP-Paket namens „The Hardwired Experience“ buchen. Dieses beinhaltete folgende Leistungen:

– Ein Sitzplatz im Unterrang
– Zugang zur Arena über den separaten Eingang „Through The Never“
– Treffen mit Bandmitgliedern im Backstage-Bereich vor der Show
– Ein Gruppenfoto mit allen (12) „Hardwired Experience“ Fans und allen vier Bandmitgliedern
– Eine von allen Bandmitgliedern signierte Setlist
– Zugang zum „Sanitarium Rubber Room“ (Selbstzahler-Bar mit zwei kostenfreien Getränken)
– Abendessen am „Spit Out The Bone“ Buffet
– Zugang zu „Memory Remains“: eine brandneue Ausstellung mit Band-Erinnerungen, Instrumenten, Bühnengarderobe, persönlichen Sachen uvm.
– Ein Metallica Poster in limitierter Auflage
– Ein Metallica T-Shirt
– Zugang zum Merchandise-Stand nur für VIP Kunden

Wie viel davon unbedingt notwendig ist, sei jedem selbst überlassen. Aber hey, für 2.399 € Zugang zum Merchandise-Stand zu erhalten, bei dem ich dann nochmal Geld lassen kann, klingt doch nach einem fairen Deal, oder?

Eminem Platin Ticket
Eminem Platin Ticket

Auch ganz vorne mit dabei auf der WTF?-Liste: Die Platin-Tickets von Ticketmaster. Zum ersten Mal bin ich während des Eminem-Vorverkaufs auf diese Ticket-Kategorie aufmerksam geworden. Platin Ticket, klingt ja eigentlich ganz gut. Was bekommt man dafür? Dafür zitiere ich gerne die Ticketmaster-Webseite:

Ticketmaster Platin bietet den Fans die Möglichkeit auf Tickets zuzugreifen, die nachfrageorientiert direkt vom Künstler und Management bereitgestellt werden. Ticketmaster Platin ermöglicht dabei eine marktgerechte Preisgestaltung für Live-Events (Preisanpassungen in Abhängigkeit von Angebot und Nachfrage). Das Ziel ist es, den Fans einen fairen und sicheren Zugang zu stark nachgefragten Tickets anzubieten und gleichzeitig den Künstlern und Veranstaltern eine Plattform zu schaffen, auf der Tickets zu ihrem echten Marktwert direkt zum Fan gelangen.

Bitte beachten Sie, dass Platin-Tickets kein Bestandteil eines VIP Packages sind und daher keine Extraleistungen, wie Merchandise-Artikel oder spezielle Bewirtungsleistungen, während der Veranstaltung mit sich bringen.

Heißt das also, dass sich Künstler und/oder Management vorab einen Teil des Kuchens sichern und Tickets bewusst zurückhalten, um diese wesentlich teurer unters Volk zu bringen? Im Fall von Eminem kostete das Platin-Ticket ohne echten Vorteil 270 € und somit 150 € mehr als der teuerste regulär erhältliche Stehplatz der Kategorie Front of Stage 1. In meinen Augen eine große Schweinerei.

Gleichberechtigung auf Festivals?

Wie sieht das eigentlich auf Festivals aus? Seit 2003 besuche ich jedes Jahr Rock im Park in Nürnberg und auch für dieses Jahr habe ich schon lange mein Ticket. Ich liebe dieses Festival! Trotzdem muss ich feststellen, dass auch Festivals – also nicht nur Rock im Park – immer mehr zur Zwei- oder Dreiklassengesellschaft verkommen. Es geht mir hier nicht um den reinen Ticketpreis an sich. Bei Rock im Park bzw. Rock am Ring bekommt man für gut 200 € ein Paket aus über 70 Bands geboten. Durchaus fair, wie ich finde. Jährliche Preissteigerungen: Verständlich. Schließlich werden die Kosten für Bands nicht niedriger, Mitarbeiter wollen bezahlt werden, Lärmschutzkonzepte müssen erstellt und umgesetzt werden, usw..

Was mich jedoch stört ist die Tatsache, dass man sich in immer neuen (Camping-)Konzepten zu verlieren scheint. So gibt es beispielsweise für Rock am Ring 2018 insgesamt 16 verschiedene Ticket-Varianten, die vom „normalen“ Weekend-Ticket, über Green Camping Tickets, Weekend Festival VIP Tickets (für schlappe 999 €) bis hin zu „EXPERIENCE PARKING & CAMPING“ Tickets oder Hotel Packages reichen. Drei verschiedene Caravan Parking Tickets und Tickets für Bus Shuttle vom Parkplatz zum Konzertgelände runden das unübersichtliche Angebot ab. Da blickt doch kein Mensch mehr durch….

Die Einführung des Green Camping vor ein paar Jahren ist äußerst begrüßenswert und eigentlich sollte jeder Festivalbesucher seinen Zelplatz ordentlich und sauber wieder verlassen. Mit der Einführung von Experience Camping, Backstage Camps, etc. liefert man dem geneigten Festivalbesucher zwar einige Extras, wie etwa ein bereits aufgebautes Zelt inkl. Schlafsäcken usw., jedoch verliert das Festival dadurch aus meiner Sicht etwas von seinem Charakter.

Die Luxus-Camper halten Einzug: Für 745 € kann man etwa bei Rock im Park ein 2er Glamping Tent mieten. Bis vor ein paar Jahren ging es beim Festival noch um die Musik und eine gute Zeit auf dem Zeltplatz. Heute steht scheinbar vor allem im Vordergrund, wie man die Festivalbesucher noch weiter melken kann.

2014, als Rock am Ring seinen vorübergehenden Weggang zum Nürburgring verkündete, um sich für zwei Jahre in Mendig anzusiedeln, gab Veranstalter Marek Lieberberg auf der Hauptbühne eine bemerkenswerte Rede von sich, in der er den Geist der Rock am Ring Fans beschwor. Laute „Wir sind der Ring!“-Rufe waren die Folge. Eine beeindruckende Darstellung des Wir-Gefühls, dass sich bei den Ringrockern schon seit Jahren breitgemacht hat.

Heute, 2018, müsste es wohl eher „Ihr seid der Ring! heißen. „Und ihr auf dem VIP-Campingplatz seid auch der Ring“. „Ihr im Experience-Camp seid auch der Ring“. Eine hausgemachte Mehrklassengesellschaft, die im Grunde nichts anderes möchte als ein Wochenende lang gemeinsam zu feiern. Und trotzdem entwickelt sich gerade ein (Luxus-)Event-Charakter, den ich persönlich nicht gut finde.

Das Ende der Fahnenstange?

Letzten Endes muss freilich jeder für sich entscheiden, was einem ein Konzertticket oder die Karte für ein Festival wert ist. Ich denke jedoch, dass das Ende der Fahnenstange noch lange nicht erreicht ist. Konzert- und Festivalveranstalter werden sich immer neue Möglichkeiten einfallen lassen, um ihren Veranstaltungen noch mehr Event-Charakter zu verleihen.

Mit exklusiven Specials wird man immer weiter versuchen, sich von der Konkurrenz abzuheben und so einen „Mehrwert“ für seine Kunden zu gestalten. Sowohl preislich als auch inhaltlich sind dem Ganzen keine Grenzen gesetzt. Was kommt als nächstes? Vielleicht Fast-Lane-Tickets, um schneller als andere auf Toilette gehen zu können. Gegen Aufpreis, versteht sich.

Ob es das alles braucht, wage ich zu bezweifeln. Die Spaß an der Musik und an Konzertbesuchen lasse ich mir jedenfalls nicht nehmen.

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Immer auf der Suche nach guter Musik, regelmäßig auf Konzerten und Festivals unterwegs, meist gut gelaunt und immer ein Lied auf den Lippen oder im Kopf.Schreibt mir gerne eine Mail. Freue mich über Lob, Kritik und viel neue Musik.

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2 Kommentare

2 Comments

  1. Taralissa

    8. August 2023 at 21:21

    Dieser Beitrag ist zwar schon 5 Jahre alt, hat aber nichts an Aktualität verloren. Auch ich ärgere mich über Warteschlangen beim Ticketverkauf und diese unsäglich lange Wartezeit. Auch ich habe hier Tickets seit 1,5 Jahren im Schrank liegen. Ich erinnere mich noch gut an Konzerte von Depeche Mode, Phil Collins oder den Toten Hosen, wo man gemütlich zur Halle geschlendert ist und an der Abendkasse noch locker seine Tickets kaufen konnte. Abendkasse, sowas löst höchstens noch hysterisches Gekicher aus. Schöne neue Welt- nicht.

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