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„Erwartungsdruck habe ich mir abgeschminkt“ – Interview mit Bosse

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Axel Bosse Interview 2016 München

Vor dem ausverkauften Bosse-Konzert in München empfing Axel Bosse, auch Aki Bosse genannt, Matthias und Chris für ein Interview, um mit ihm über seine Tour, das aktuelle Album, seine Songs und das Musiker-Dasein im Allgemeinen zu sprechen.

museek: Vielen Dank, dass du dir Zeit für uns nimmst.

Aki Bosse: Sehr gerne, ich hab‘ zu danken.

München ist die dritte Station der Engtanz-Tour. Ist der Tour-Start so gelaufen, wie du dir das vorgestellt hat? Oder was sind generell deine Erwartungen an ein Konzert oder eine Tour?

Ich glaube das wichtigste ist erstmal, dass man sich total entspannt und so frei ist, wie es eben nur geht. Das ist immer so die Schwierigkeit am Anfang einer Tour. Da ist alles erstmal etwas wackelig, man ist noch nicht so eingespielt, das Licht muss funktionieren und der Sound und so. Auch wir als Band müssen das erstmal so hinbekommen, wie wir es super lange geprobt haben. Und trotzdem ist das am ersten Abend immer so, dass jeder nochmal guckt, was hat das jetzt zu bedeuten, wie geht es weiter und sowas. Ich hatte, glaube ich, so 2-3 Texthänger. So normal eben. Eigentlich ist es so, nach dem ersten Schock, dem ersten Abend, ist alles total entspannt. Gestern haben wir in Zürich gespielt, da war es schon 70% besser als in Mannheim und heute, glaube ich, sind wir schon fast da, wo wir uns das vorstellen. Man kann es ein bisschen vergleichen mit Autofahren. Wenn man 18 ist muss man immer denken „1. Gang, 2. Gang, Schulterblick, etc.“ und bei Musik sollte es eigentlich so sein, dass man entspannt an nichts denkt und alles automatisch macht.

Bei Texthängern gibt es ja mittlerweile genug Bosse-Fans, die textsicher in die Bresche springen können.

Im besten Fall ja. Wenn ich ne Frage habe, brauche ich nur in die zweite Reihe schauen und die können mir direkt alles beantworten.   

Vermisst du während dieser Zeit deine Familie oder denkst du dir, dass das, was du das machst, letztendlich auch in irgendeiner Weise für sie ist? Ist das nicht manchmal ein Zwiespalt?

Jetzt gerade ist es so dass wir alle denken es ist höchste Zeit, dass ich mal wieder auf Tour gehe. Das versteht auch meine Tochter. Die ist mittlerweile so groß, dass sie versteht, dass ich manchmal weg bin und manchmal eben zu Hause. Sonst ist es aber so, dass zwei Wochen überhaupt nicht weh tun. Manchmal ist es zwar doof aber es gibt ja mittlerweile sowas wie Face-Time und man kann sich zwischendrin auch mal angucken und so. Viel besser als früher, als man immer noch zur Telefonzelle laufen musste. Ansonsten finde ich, dass ich eigentlich den perfekten Beruf habe, verglichen mit meinem Nachbarn, der bei Airbus arbeitet bis 18 Uhr. Ich finde, dass ich mein Kind und meine Frau viel öfter sehe und auch viel intensiver, weil ich natürlich zwei Wochen weg bin. Das coole ist aber, die nächsten zwei Wochen zum Beispiel, häng‘ ich eben nur zu Hause ab und bin Vater. Ich stehe morgens früh auf und mache alles. Da kriegen die mich dann doppelt und dreifach. Die wissen natürlich auch schon, dass ich ohne Musik nicht glücklich sein kann. Trotzdem hast du recht, manchmal ist es auch ein Zwiespalt. Wenn es einem mal nicht so gut geht. Und wenn man Kinder hat, dann will man die natürlich auch sehen. Aber eigentlich ist es für uns als Familie schon Routine geworden.

Inwiefern setzt dich der Gedanke, dass du mit deiner Musik auch eine Familie zu ernähren hast, beim Schreiben unter Druck? Arbeitest du noch intensiver an deinen Songs oder hast du dir eine gewisse Leichtigkeit erhalten?

Erwartungsdruck habe ich mir abgeschminkt. In den Anfangsjahren habe ich das auch alles hinbekommen irgendwie und ich kam ja, sagen wir mal so, aus der Gosse. Und da konnte ich auch gut leben. Ich habe immer gearbeitet um Musik zu machen und ich kann einfach keinerlei Album schreiben für Irgendwen oder für die Charts oder das Radio. Dann würde ich mich von Anfang an so verkrampfen. Ich kann es zunächst mal nur so machen, wie ich es mir vorstelle, ohne Hintergedanken zu haben. Wenn man sich mit einem weißen Blatt Papier ans Klavier setzt und sich sagt „heute schreib‘ ich mal nen tollen Song für’s Radio“, dann kann das eigentlich nur in die Hose gehen. Das ist ein ekelhaftes Korsett. Genauso kann man aber vergessen, dass man sich hinsetzt und sein ganzes Leben darauf ausrichtet, dass alle deine Musik geil finden. Da kann man nur scheitern. Ich in meinem Fall zumindest.

Im Song „Schönste Zeit“ auf dem Album „Kraniche“ singst du „der erste Kuss war Erdbeerbowle und Spucke„. Man fühlt total bei dem Song mit. War das wirklich so bei deinem ersten Kuss?  

Ja ja, das war tatsächlich so. Ich hab‘ für „Schönste Zeit“ fünf Seiten vollgeschrieben mit Sachen, an die ich mich noch wirklich prägend aus meiner Pubertät erinnern kann. Die ganzen ersten Male, bei denen ich eben was dabei fühle und der Kuss war eben auch mit dabei.

Du bist mit „Engtanz“ auf Platz 1 der Charts eingestiegen. Herzlichen Glückwunsch! Sowas wünscht man sich natürlich immer. Ist das ein Ziel von dir gewesen, auf das du zielstrebig hingearbeitet hast oder ist am Ende des Tages für dich nur wichtig, dass du selbst mit dem Album zufrieden bist?

Ich fang‘ da bei mir eigentlich ganz, ganz unten an. Hat ja auch wieder was mit Erwartungshaltung zu tun. Der Moment, wenn dann das Album auf Platz 1 ist, ist natürlich super toll. Ich war noch nie in meinem Leben auf ner 1, war ich noch nie. Wenn es dann tatsächlich passiert dann denkt man natürlich schon  „Alter, hätte ich das mit 13 gewusst“. Sowas denkt man. Ansonsten bin ich aber erstmal echt froh, dass ich mein sechstes Album fertig habe, weil es diesmal auch echt weh getan hat beim Schreiben und lange gedauert hat. Ich wusste nicht, ob es gut oder schlecht ist, ich war furchtbar tief drin in der Materie und da kam ich auch nicht mehr so richtig raus. Dann war ich erstmal froh, dass es fertig war und es für mich abgeschlossen war. Wenn ich dann denke „krass, ich hab 11 gute Songs geschrieben und kann endlich wieder auf Tour gehen“, dann ist mir der ganze Rest auch egal. Es hätte auch auf 120 nicht einsteigen können oder so aber dann wäre es für mich trotzdem ok gewesen weil ich habe es trotzdem hinbekommen.

Gibt es auf dem aktuellen Album „Engtanz“ einen persönlichen Lieblingssong?

Das mit den Lieblingssongs ist immer so eine Sache, weil ich immer noch so tief drin hänge. Seine eigene Musik hören ist sowieso für mich schlimm. Vor allem wenn man da noch so viel dran rumgefingert hat. Ich denke mir dann beim Hören so Sachen wie „oh nein, das Becken ist mies“ oder „die Basedrum beim näxhsten mal lieber so“. So geht das die ganze Zeit. Für mich sind die Songs am schönsten, bei denen ich beim Schreiben keine Probleme hatte. Bei denen ich mich hingesetzt habe, eine Idee hatte und die dann auch in ein paar Minuten zu Ende gedacht habe. „Ahoi, Ade“ und „Nachttischlampe“ sind so Songs, die mir gut von der Hand gegangen sind. Da habe ich nur positive Erinnerungen dran. Auf der anderen Seite gibt es aber auch Songs, von denen ich vierzig Versionen geschrieben habe und fast verzweifelt wäre. Die gefallen mir dann erstmal nicht so gut.

Wenn die Fans dein Album zu hören bekommen, dann haben die Songs für dich ja meistens schon einige Monate auf dem Buckel. Brauchst du nach einer Album-Tour dann erstmal Abstand von den Songs?

Das sind sogar mehr als 12 Monate. Das ist Wahnsinn. Ja, da braucht man erstmal Abstand. Musik funktioniert auch wirklich am allerbesten mit Abstand. Für die Fans ist es so, die entdecken beim ersten Mal hören was Neues, beim fünften Mal hören und beim 300. Mal auch auch. Für mich ist es so, ich habe jeden Song schon mindestens 2.000 Mal gehört und auch noch selbst geschrieben und über die Schlagzeug-Aufnahmen mit dem Engineer diskutiert.

Über die Jahre sind deine Fans mit dir gewachsen und erwachsen geworden. Wie nimmst du deine Fans wahr? Was siehst du wenn du ins Publikum blickst, hat sich da irgendwas geändert mit der Zeit?

Es gibt total viele Leute, die sozusagen vom ersten Ton an dabei sind. Aber genauso gibt es wahnsinnig viele neue Leute, die zu meinen Konzerten gehen. Aber im Grunde genommen hat sich gar nicht so viel verändert. In den ersten Reihen stehen entweder totale Hardcore-Fans, die mittlerweile ungefähr so alt sind wie ich. Die haben vielleicht alle noch studiert als ich angefangen hab Musik zu machen. Zwischendrin sieht man dann ein paar jüngere Leute, die einfach vorne rein wollen um zu dancen oder so. Die sind so zwischen 18 und 22. 14-Jährige gibt’s gar nicht so oft.

Unter Anderem durch soziale Netzwerke haben Fans die Möglichkeit, rund um die Uhr am Leben ihrer Stars teilzuhaben. Ab welchem Punkt ziehst du für dich die Grenze zwischen Fan-Nähe und Promotion auf der einen Seite und „Das geht jetzt zu weit“ auf der anderen Seite?

Ich glaube, da gibt es so zwei Grenzen. Die erste Grenze sind langweilige Mittagessen, langweilige Selfies, langweiliges Irgendwas. Die andere Grenze ist Familie, Kinder, Freunde, Privatzeugs. Ansonsten finde ich immer gut, dass wenn ich den Drang habe etwas zu erzählen, dann kann ich das jederzeit machen. Damit verkaufe ich keine Platte aber wenn ich z.B. morgens in München aus dem Bus rausfalle und jemand macht ein Foto davon, dann ist das voll ok. Manchmal finde ich mein eigenes Leben aber auch so langweilig, dann poste ich einfach mal nichts. Letzten Sommer war das zum Beispiel so. Da hab ich nur im Stübchen rumgehangen und hab versucht, irgendwas gutes zu schreiben. Das ist langweilig für die Leute und vielleicht auch wieder eine Grenze. Ansonsten schaue ich mir als Fans auch schon mal Sachen von Anderen an. Was machen Kraftklub gerade? London Grammar macht eine neue Platte. Da freue ich mich dann, wenn ich als Fan das mitkriege. Oder Smashing Pumpkins machen gerade jeden Abend ne Live Mention auf Facebook. Super geil. Das guck‘ ich dann auch gerne.

Fühlst du dich manchmal in deinem Genre „Deutsche Popmusik“ etwas beschränkt, weil du damit nicht so wirklich international durchstarten kannst und wäre internationaler Erfolg ein Grund für dich, mal Songs in einer anderen Sprache, z.B. Englisch, aufzunehmen?

Wenn ich meinen Trompeter anschaue, der bei Nada Surf und Calexico spielt, der schickt mir zum Beispiel irgendwelche Selfies aus Neuseeland oder aus Japan. Und ich denke mir dann, dass ich immer nur zwischen Cottbus und Nürnberg hin und her reise. Auf der anderen Seite denke ich aber auch, dass ich nicht unbedingt eine internationale Karriere anstreben will. Da denke ich mir dann so „nee, lass mal, da kannst du dann lieber auch mal in Urlaub fahren“ oder so. Du musst doch nicht immer nur arbeiten. Ich singe auch einfach nicht so gerne auf englisch. Musik machen macht aber auch mega Bock. Mit deinen besten Leuten zusammen auf der Bühne stehen und einen wegballern, das ist schon so neben zwei, drei anderen Sachen das beste Gefühl auf der Welt. Meine englische Aussprache ist mega mies. Ich hasse deutschen Akzent in englischer Musik. Das ist für mich so das Schlimmste. Und ich selbst bin wahrscheinlich auch noch das schlimmste Beispiel dafür. Viele Leute, die international spielen, besuche ich dann. Da häng ich Abends in Portugal ab und schau mir dann ein Konzert an. Aber natürlich bin ich sehr glücklich mit dem, was ich mache.

Immer auf der Suche nach guter Musik, regelmäßig auf Konzerten und Festivals unterwegs, meist gut gelaunt und immer ein Lied auf den Lippen oder im Kopf.Schreibt mir gerne eine Mail. Freue mich über Lob, Kritik und viel neue Musik.

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