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Gesundgeschrumpft und glücklich: Judith Holofernes im Interview

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Judith Holofernes museek Interview 2020

Judith Holofernes ist nicht nur Musikerin, Texterin und Autorin, sondern darüber hinaus noch Mutter und irgendwie auch immer noch „Die von Wir sind Helden“. 2015 durfte ich ihr schon einmal ein paar Fragen stellen und ich freue mich, dass ich dies jetzt erneut tun durfte.

Herausgekommen ist ein herrlich offener Einblick in das Leben von Judith Holofernes, das „Loslassen vom Fame“ und warum es ihr heute womöglich besser geht als jemals zuvor.

Frau Holofernes, in Ihrem Podcast „Salon Holofernes“ sprechen Sie laut eigener Aussage „mit sehr unterschiedlichen Künstler*innen aus sehr unterschiedlichen Gewerken über das Kunstmachen“. Hatten Sie hierfür schon vor dem Start einige Gesprächspartner im Kopf, mit denen Sie gerne sprechen möchten oder ergibt sich der Gast Ihres Podcasts eher spontan aus einem Impuls heraus?

Oh ja, ich hatte eine lange Liste im Kopf, von denen viele inzwischen auch schon da waren… Und natürlich ergeben sich im Laufe der Gespräche auch neue Ideen, ich stolpere über jemanden, oder bekomme eine Empfehlung… Auch meine Patrons, also meine Unterstützerin:innen auf Patreon haben sich schon Gäste gewünscht, die dann tatsächlich zugesagt haben. zum Beispiel der Klavierkabarettist Bodo Wartke, der neulich da war, den hatten sie sich gewünscht… Der stand allerdings eh ganz oben auf meiner Liste, und wir sind seit 1998 befreundet.

Sie beschreiben Ihren Podcast weiter als „ein großangelegtes privates Forschungsprojekt darüber, wie Kunst und Kreativität funktionieren“. Wie haben Kunst und Kreativität für Sie als Kreativ-Künstlerin und Mutter funktioniert in Zeiten des Corona-Lockdowns im Frühjahr? Blieb da neben der Familie noch genügend Zeit für die eigene Arbeit?

Ich bin heilfroh, dass ich im Moment sowieso schwerpunktmäßig an autobiografischen Texten für Patreon schreibe, das kann ich ziemlich gemütlich vom Sofa aus machen. Meine Freunde, die gerade Konzerte spielen wollten, hat es natürlich viel härter erwischt. Aber natürlich muss ich ziemlich findig und konsequent sein, um genug Zeit zum Schreiben zu haben, jetzt die Situation mit den Schulen so unsicher ist und die Kinder mt jedem Schnupfen zuhause bleiben. Aber ich setze einfach eine große Priorität auf´s kreative Arbeiten und lasse zur Not den Bürokram und so liegen.

Seit Dezember 2019 sind Sie auf Patreon vertreten. Auf der Plattform können Fans Sie durch ein Crowdfunding-Abo-System unterstützen und zahlen dort je nach gewählter Mitgliedschaft für jede Ihrer Veröffentlichung einen gewissen Betrag. Fühlen Sie sich dadurch noch mehr unter Druck gesetzt, Kreatives „“liefern zu müssen“ oder beflügelt Sie dieser Umstand eher?

Hmm, ich spüre schon eine Verpflichtung, aber über die bin ich sehr froh. Immerhin ist es endlich die Verpflichtung, auch wirklich das zu tun, was ich als meinen eigentlichen Beruf betrachte. Diese Verpflichtung unterstützt mich eher, sie hilft mir, mein Schreiben ernst zu nehmen und mich nicht ablenken zu lassen. Früher war ich dauernd verpflichtet, Sachen zu machen, die für mein Gefühl überhaupt nichts mit meiner Musik zu tun haben, ich hatte manchmal das Gefühl, achtzig Prozent meiner Energie gehen in die ganze Selbstpromotion und das generelle „Judith Holofernes-Sein.“

Fast die gesamte Live-Branche befindet sich momentan in Corona-Zwangspause. Wie groß wirkt sich dieser Umstand auf Ihr persönliches Leben aus? Würden Sie vielleicht sogar sagen, dass Sie froh sind rechtzeitig aus dem großen Zirkus Musikbusiness ausgebrochen zu sein?

Ich bin ja fünf Monate vor dem ersten Lockdown ausgebrochen, und kann manchmal nicht fassen, wie glücklich sich dieser Schritt erwiesen hat. Das, was ich da auch Patreon mache, ist von Corona völlig unberührt, und ich habe durch meine Abonnentinnen ein Sicherheitsnetz, dass sonst fast niemand in meinem Beruf hat. Ich bin dafür wahnsinnig dankbar… Und natürlich melden sich jetzt viele Freunde, die plötzlich sehr neugierig sind auf Patreon! Ich denke, vielen Musikern wird jetzt bewußt, wie wackelig ihr Lebenskonstrukt schon vor Corona war, die ganzen Abhängigkeiten werden unheimlich sichtbar… Glücklicherweise sehen das auch die Fans, und ich habe das Gefühl, dass sich da wirklich was tut. Viele Leute denken jetzt wirklich darüber nach, was Kunst und Musik für sie bedeuten, und was man tun könnte, damit diese Wertschätzung auch bei den Künstlern ankommt.

Nicht nur mit Wir sind Helden, sondern auch als Solo-Musikerin haben Sie mehrere Alben veröffentlicht, zuletzt 2017 das Album „Ich bin das Chaos“. 2015 erschien außerdem Ihr Gedichtsband „Du bellst vor dem falschen Baum“. Seitdem gibt es praktisch keine physikalischen Releases mehr von Ihnen und man hat den Eindruck, dass Sie sich komplett in den Online-Bereich zurückgezogen haben. Eine bewusste Entscheidung? Wie kam es dazu?

Ja, für´s Erste möchte ich das nur noch so machen. Kann aber gut sein, dass ich irgendwann auch wieder Lust habe, etwas nach draußen in die Welt zu veröffentlichen. Aber bisher gefällt mir das wahnsinnig gut so… Ich hab einfach gemerkt, dass ich in kreativen Phasen total glücklich war, und es mir um eine Veröffentlichung herum immer viel schlechter ging, mein Leben immer wieder völlig aus den Fugen geraten ist, viel zu viel Arbeit, Bespiegelung, Stress… und keine Zeit mehr, zu schreiben! Das kam mir irgendwie unsinnig vor, und ich habe beschlossen, mir ein Leben zu basteln, in dem die Kunst immer vorgeht, und nicht mehr andauernd für eine Veröffentlichung hintenangestellt wird. So eine Veröffentlichung nimmt einen halt für mindestens ein Jahr völlig in Beschlag, und da ist ja dann das Album, das man geschrieben hat, schon wieder fast zwei Jahre alt, meistens. Da will ich eigentlich schon längst wieder was Neues machen. Bei Patreon kann ich jetzt immer das hochstellen, was ich jetzt gerade mache.

Im wirklich hörenswerten Podcast „Was tun(?)“ von Hannes Wittmer haben Sie darüber gesprochen, dass Sie nach dem Ende von Wir sind Helden 2012 eigentlich schon da sein wollten, wo Sie heute sind und dass Sie auch mit Ihrem Solo-Projekt genau das gemacht haben, was Sie eigentlich nicht mehr wollten. Wie also unterscheidet sich Judith Holofernes 2020 von ihrer 2012er-Version?

Ich habe über die Jahre, seit dem Ende der Helden, an allem geschraubt, was es innerhalb dieses Musikbetriebs zu schrauben gibt, habe alles mögliche verbessert, gelernt, bin immer unabhängiger geworden, aber trotzdem hatte ich immer das Gefühl, einen noch radikaleren Schritt zu brauchen. Ich habe sozusagen die Spielregeln immer weiter ausgedehnt, bis ich mir irgendwann eingestehen konnte, dass ich einfach das ganze Spiel nicht mehr spielen möchte. Jetzt, wo ich den Schritt endlich gemacht habe, bin ich vor Allem erleichtert, und dankbar, dass es funktioniert. Ich habe endlich das Gefühl, etwas wirklich Neues anfangen zu können, und das bekommt mir wahnsinnig gut.

Sie sprechen mit Hannes Wittmer ebenfalls über das „Loslassen vom Fame“ und davon, sich bewusst gegen Erfolg zu entscheiden. Würden Sie also rückblickend vielleicht auch sagen, dass Sie sich selbst auf die ein oder andere Art gesundgeschrumpft haben?

Ja, total! Und darüber, wie schwer das ist, wie viele Widerstände es da gibt, von innen und von außen, darüber schreibe ich im Moment auf Patreon. Ich hatte damit ehrlich gesagt nicht gerechnet, und finde es spannend, da genauer hinzugucken. Warum ist das so schwer, warum wird es einem so schwer gemacht, weniger zu wollen? Ich schreibe also quasi die Biografie, die nie einer schreibt… über die Zeit nach dem großen Erfolg, über die Entzugserscheinungen und Kämpfe. Und damit natürlich auch viel darüber, wie Fame so funktioniert, was das mit einem macht.

Ihr Mann Pola Roy arbeitet erfolgreich als Musikproduzent und Mischer, und hat u.a. die im August veröffentlichte neue Single „Immer wenn ich dich seh“ von MIA gemischt. Juckt es Sie manchmal in den Fingern, ihn bei der Arbeit zu unterstützen bzw. ihm Ratschläge zu geben oder haben Sie beide das klar getrennt und jeder macht sein eigenes Ding?

Wir sprechen schon viel darüber, was der andere gerade so macht, und Pola zeigt mir viel von dem, was er gerade aufnimmt oder mischt. Für mich ist das schön, ich habe gerade ziemlich viel Abstand zum Musikmachen, und so kann ich entspannt von der Seitenlinie noch ein bisschen teilnehmen. Im Moment hat er gerade die Aufnahmen mit Anna Erhardt abgeschlossen, einer Künstlerin aus der Schweiz. Gestern haben die beiden hier im Wohnzimmer das Vinyl abgenommen, und ich schleich mich dann von hinten an und höre mit… Das ist wahnsinnig schön geworden.

museek.de versteht sich als Plattform für Musikentdecker, die auch abseits des Mainstreams nach musikalischen Perlen suchen. Gibt es eine Band, einen Künstler oder Song, den Sie den Lesern empfehlen können?

Oh, ich liebe Zita Swoon aus Belgien, eine der Nachfolgebands von dEus! Und mein liebster Lieblingssong der letzten Jahre ist „Motion Sickness“ von Phoebe Bridgers… Und neulich habe ich „Not the outdoor type“ von den Lemonheads entdeckt und habe sehr gelacht. Ach so, und natürlich möchte ich allen Lesern Teitur ans Herz legen, den wunderbaren färöischen Songwriter, mit dem ich viele Songs auf „ich bin das Chaos“ zusammen geschrieben habe. Der ist zwar mein bester Freund, aber ich schwöre, dass ich ihn schon vorher großartig fand.

Vielen herzlichen Dank für das Interview! Ich freue mich sehr über Ihren zukünftigen kreativen Output und wünsche Ihnen für die Zukunft weiterhin alles Gute! 

Danke schön! Ich freue mich auch! Ich geh direkt wieder an den Schreibtisch!

Judith Holofernes im Internet: Webseite | Patreon | Facebook | Instagram

Immer auf der Suche nach guter Musik, regelmäßig auf Konzerten und Festivals unterwegs, meist gut gelaunt und immer ein Lied auf den Lippen oder im Kopf.Schreibt mir gerne eine Mail. Freue mich über Lob, Kritik und viel neue Musik.

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